Samstag, 20. September 2008

Juden und Nazis in Liechtenstein

Enteignung und Zwangsarbeit:

- "In Liechtenstein selbst gab es keine Enteignung jüdischen Eigentums und keine Zwangsarbeit." [#]

- "Zur wirtschaftlichen Konsolidierung habe der Fürst verschiedene Betriebe der Papier- und Holzbranche aus jüdischem, arisiertem Besitz erworben. Auch seien kurz vor Ende des Kriegs einzelne Gruppen deportierter ungarischer KZ-Juden auf drei landwirtschaftlichen Gütern [nicht in Liechtenstein] des Fürsten eingesetzt worden." [#]

Nazikonten:

- "Liechtenstein war kein bedeutender Finanzplatz, keine Devisendrehscheibe, kein Hort für NS-Raubgut, kein Verschiebeplatz für NS-Fluchtvermögen. ... Der Finanzplatz Liechtenstein, der damals nur zwei Bankeninstitute umfasste, diente weder als «Hort für jüdisches Fluchtkapital noch für die Kapitalflucht von NS-Grössen»." [#]

- "Hingegen strömten während des Krieges laut Historikerkommission «zwecks Umgehung der schweizerischen Kriegsgewinnsteuer» Gelder des Rüstungsindustriellen Emil Bührle und von dessen deutschem Vertreter, Rudolf Ruscheweyh, aus lukrativen schweizerisch-deutschen Rüstungsexporten zu. Auch die drei [Maschinenbau Hilti, Presta und Präzisions-Apparatebau Vaduz, #] damaligen Industriebetriebe produzierten direkt oder indirekt für die deutsche Wehrmacht, indem sie als Zulieferfirmen für schweizerische Unternehmen tätig waren." [#]

Raubkunst:

- "Für die damals in Wien und Umgebung liegenden Fürstlichen Sammlungen, die circa 40'000 Objekte umfassten, wurden in den 1930er Jahren kaum Erwerbungen getätigt. Von 1939 bis 1945 wurden dann zusammen 270 Objekte gekauft, umfassend ein Dutzend unbedeutende Bilder und Zeichnungen, im Übrigen Plastiken, Teppiche, Tische, Stühle, Lampen, mehrheitlich Kunsthandwerkliches. Darunter ist für zwei wertvolle Tische die Herkunft aus jüdischem Besitz belegt; beim einem davon gab der Kunsthändler dem Fürsten 1942 fälschlich eine harmlose Provenienz an. Eine Reihe weiterer der erworbenen Objekte sind als problematische Provenienzen anzusprechen, da sie bei Kunsthändlern oder im Wiener Dorotheum, welche „arisierte“ Kunst verwerteten, gekauft wurden, einige Gobelins und Sessel auch aus dem besetzten Frankreich; Belege, dass es sich um Raubkunst handelte, gibt es nicht. Beizufügen ist, dass der Sammlungsdirektor oder der Fürst sich in der Regel nach der Provenienz erkundigten und dass sie in der NS-Zeit die Gelegenheit, wertvolle geraubte Bilder günstig zu erwerben, nicht nützten." [#]

Nazis:

- "1938 lebten in Liechtenstein etwa 1400 Deutsche. Zeitzeugen schätzen, dass mindestens die Hälfte von ihnen mit den Nazis sympathisierten. Ein aktiver Teil gehörte der NSDAP-Ortsgruppe Liechtenstein an, die bereits im Juni 1933 gegründet worden war." [#]

- "Im Fürstentum gab es den NSDAP-Ableger "Volksdeutsche Bewegung in Liechtenstein". Gemäß dem Schlussbericht der Unabhäbigen Historikerkommission Liechtenstein, Zweiter Weltkrieg (ISBN 3-0340-0806-6), welcher die Fragen in Bezug auf Flüchtlinge, Vermögenswerte, Kunst und Rüstungsproduktion zu beantworten versucht, wurde ein möglicher Einfluss des NSDAP-Ablegers auf die Liechtensteiner Bevölkerung sehr stark eingeschränkt und fand nur verhältnismäßig wenige Anhänger. Zudem reagierte die Bevölkerung mehrheitlich negativ auf die damalige "Volksdeutsche Bewegung"." [#]

- "... am 31. März gründeten einige Liechtensteiner die Volksdeutsche Bewegung. Man forderte den Anschluss ans Reich und tobte sich bei deutschem Gesang, deutschem Gruss und Aufmärschen unter der Hakenkreuzfahne aus; anlässlich Hitlers Geburtstag am 20. April, aber auch am 15. August, dem fürstlichem Wiegenfest und liechtensteinischen Staatsfeiertag. Der erste «Landesleiter» war der Besitzer des Alpenkurhauses Gaflei, Rudolf Schädler, ein Komponist und einer der führenden Köpfe in der Affäre Rotter. Im Herbst 1938 trat der Ingenieur Theodor Schädler an seine Stelle. Ab 1940 führte der Altphilologe und Sekundarlehrer Alfons Goop die Volksdeutsche Bewegung." [#]

- "Am 27. November 1944 wurde von Heinrich Himmler geplant, aus den wenigen Freiwilligen der Waffen-SS, die aus der Schweiz und aus Liechtenstein stammten, eine „schweizerische SS“ im Rahmen der sogenannten „germanischen SS“ zu bilden. Zu diesem Zweck wurde im SS-„Panorama-Heim“ in Stuttgart ein „Schweizer Sportbund“ gegründet. Aber die Gründung einer „deutsch-schweizerischen SS“ kam nicht zustande, da es offensichtlich war, dass sich nunmehr keine Schweizer mehr zur Waffen-SS melden würden." [#]

Juden:

- "Zum Zeitpunkt der Reichskristallnacht Ende November 1938 lebten laut Angaben des Historikers Peter Geiger - eines Spezialisten für neuere liechtensteinische Zeitgeschichte - rund 120 jüdische Ausländer im Lande." [#]

- "Mit dem Verkauf von Staatsbürgerschaften füllten die Liechtensteiner ihre Kassen. Ab 1933 prosperierte der Handel und erreichte 1937, als 67 Personen (unter ihnen vierzig Juden) eingebürgert wurden, seinen höchsten Stand. Dies schlug für die Gemeinden und das Land mit fast einer Million Franken zu Buche, immerhin 40 Prozent der gesamten Staatseinkünfte." [#]

- "Ende Februar 1933 forderte Deutschland vom Zwergstaat die Auslieferung der Gebrüder Fritz und Alfred Schaie, die sich mit Künstlernamen Rotter nannten. Die beiden Brüder hatten 1931 das liechtensteinische Bürgerrecht erworben, lebten aber weiterhin in Berlin, wo sie ein Theater betrieben. Nach Hitlers Machtergreifung meldeten sie ihr Unternehmen als bankrott und retteten Vermögen und Leben in ihr neues Heimatland. Dieses weigerte sich standhaft, die beiden auszuliefern." [#]

- "Am 5. April 1933 sind die jüdischen Eheleute Alfred und Gertrud Rotter, gehetzt von einer Bande liechtensteiner und deutscher Nationalsozialisten, in den Felsen unterhalb von Gaflei ums Leben gekommen. Fritz Rotter, der Bruder Alfreds, und eine Begleiterin, Frau Wolf, kamen bei dem Attentat mit Verletzungen davon. Am 7. und 8. Juni 1933 fand vor dem Vaduzer Kriminalgericht der Prozess gegen die liechtensteiner Täter Rudolf Schädler, Franz Röckle, Peter Rheinberger und Eugen Frommelt statt, allesamt Söhne aus ehrbaren liechtensteiner Familien. Glaubt man der Mehrheit der Darstellungen, wären sie Opfer der aus Deutschland ins Land hereinschwappenden Welle der Begeisterung für den gerade an die Macht gekommenen Nationalsozialismus gewesen." [#]

- "Damals löste die Untat kaum Entrüstung in der Bevölkerung aus. Zu sehr grassierte der Antisemitismus. Tüchtig gehetzt wurde vor allem im 1933 gegründeten Liechtensteiner Heimatdienst, dessen Führern, dem Arzt Otto Schädler und dem Anwalt Alois Vogt, fast die Hälfte des fürstlichen Volks folgte." [#]

- Es gibt keine Synagoge im Fürstentum; keine Infos im Netz über aktuelle jüdische Gemeinden. Zum Vergleich: Es leben etwa 30 Bahái im FL, die Mehrheit davon sind vermutlich Konvertiten [#].

Abgewiesene Flüchtlinge:

- "Schriftliche Gesuche aus dem Ausland um Einreise wurden grossenteils abgelehnt. An der Grenze wurden Flüchtende zurückgewiesen, manche auch zurückgeschafft. Wieviele Personen insgesamt abgewiesen wurden, ist nicht zu eruieren." [#]

Beziehungen zu Hitler:

- Fürst Franz schickte dem Führer im März 1938 folgende Nachricht: «Anlässlich der Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reiche drängt es mich, Euer Excellenz meine Glückwünsche zum Ausdruck zu bringen. Das mächtige Deutschland bildet die Gewähr für einen dauernden Frieden in Europa.» [#]

- "Ende März 1938 weilt er [Regierungschef Hoop] vier Tage in Berlin und laviert, redet den diversen Dienststellen nach dem Mund und beteuert, Liechtenstein werde sich künftig gegen «jüdische Einwanderungen» sperren. Kurz nach dem Vorrücken der Wehrmacht an die Grenze hatte die fürstliche Regierung sämtliche Einbürgerungsverfahren sistiert. Nur noch fallweise bewilligte sie einen befristeten Aufenthalt. Und gewährt wurde dieser Gnadenakt nur gegen happige Kautionen von 20 000 Franken pro Person. Am 4. August 1938 erhöhte der Landtag die Gebühr gar auf 50 000 Franken. Zum Zeitpunkt der Reichskristallnacht Ende November 1938 lebten laut Angaben des Historikers Peter Geiger - eines Spezialisten für neuere liechtensteinische Zeitgeschichte - rund 120 jüdische Ausländer im Lande. Zuviel, befand die fürstliche Regierung, bei rund 10 000 Einwohnern. Hinzu kam der politische Druck aus Bern, wo eine totale Grenzsperre gegen jüdische Emigranten bereits im August 1938 verfügt worden war. Nun zog das Fürstentum nach und verbot am 1. Dezember 1938 sämtliche «Juden-Einreisen»." [#]

- "Als die Wehrmacht deutsch besiedelte Gebiete in Böhmen und Mähren besetzte, gerieten zwei Drittel der Besitztümer derer von und zu Liechtenstein in den Machtbereich der Nazis. Doch noblesse oblige, und man bewahrt auch unter horriblen Umständen Contenance. Jedenfalls telegrafierte Franz Josef dem Führer am 1. Oktober 1938: «Eure Excellenz bitte ich auch namens des Fürstentums Liechtenstein zu der im Interesse des Friedens der Welt geschaffenen grossen Tat meinen Glückwunsch und aufrichtig gefühlten Dank entgegenzunehmen. Euer Excellenz ergebener Franz Josef Fürst von Liechtenstein.»" [#]

- "Überhaupt tat Seine Durchlaucht im Verkehr mit Hitler mehr, als diplomatischer Gepflogenheit entsprochen hätte. Nicht bloss, dass sich beide am 20. April und 15. August gegenseitig zu den jeweiligen Geburtstagen gratulierten. Auch übermittelte der Fürst dem Führer zum Jahreswechsel regelmässig Glückwünsche, was von Hitler stets mit denselben erwidert wurde. Als sich Franz Josef II. am 7. März 1943 mit der Gräfin Georgine von Wilczek verheiratete, gratulierte der Führer telefonisch schon am Tag zuvor. Und zu Neujahr 1943 telegrafierte ihm Franz Josef: «Wir alle sind voll Zuversicht, dass die schweren Kämpfe unter Ihrer Führung das Deutsche Reich und ganz Europa einer dauernd glücklichen Zukunft entgegenführen.»" [#]

Entnazifizierung:

- "Der für die Zeit nach dem Endsieg bereits designierte Gauleiter Liechtensteins, der Österreicher Helmuth Merlin, durfte bleiben. Merlin stand ab 1944 an der Spitze der Präsidial-Anstalt, wo sich auch das örtliche Büro der NSDAP befand. Nach dem Krieg nahm er immerhin den entlassenen Regierungschef Josef Hoop als Partner in sein Treuhandunternehmen auf und sicherte so eine Existenz." [#]

- "Nur ein einziger, der Sekundarlehrer Alfons Goop, Führer der «Volksdeutschen Bewegung» und Spitzel der Nazis, wurde zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Sein Cousin, der Chronist Adulf Peter Goop, meint dazu, Alfons habe die gesamte Verantwortung übernommen und damit ein paar andere - unter ihnen auch Martin Hilti - vor Strafe bewahrt. Die Gemeinschaft habe ihn später rehabilitiert und mit dem gut besoldeten Posten des Gewerbesekretärs versorgt. Derweil konnte Martin Hilti, ehemals Funktionär der Volksdeutschen Bewegung und Redaktor der antisemitischen Zeitung «Der Umbruch», nach dem Krieg einen in Befestigungstechnik mittlerweile weltweit führenden Konzern aufbauen. Im Krieg hatte er als Freiwilliger der Waffen-SS abseits der Front gedient. Hiltis Privatvermögen wird heute auf 1,8 Milliarden Franken geschätzt. Als «Wiedergutmachung», so Hiltis Aussage in einem Interview mit der «Sonntags-Zeitung», habe er Israel im Sechstagekrieg mit 15 000 Franken unterstützt." [#]

Neonazis:

- "Im Internet präsentierten «liechtensteinische Arier» Ende 1998 eine Homepage mit rassistischen Texten, nationalsozialistischen Symbolen, einer Anleitung zur Sprengstoffherstellung mit Bildern und Hinweisen auf weitere Links. Nicht selten organisieren die Skinheads Partys und Konzerte. Die Gruppe «Erbarmungslos» ist eine Musikband, die mit rechtsextremen Liedern auftritt." [#]

- 21. September 2008: "Beim Oktoberfest im liechtensteinischen Mauren ist es zu einer Massenschlägerei gekommen, die laut der Polizei rund 20 Rechtsextreme angezettelt hatten. Liechtensteiner und Schweizer Skinheads, bewaffnet mit Stöcken und Steinen, hätten türkische Festbesucher angegriffen, so Jules Hoch, Chef der Liechtensteiner Kriminalpolizei. Die Auseinandersetzung habe sich dann über das ganze Dorfzentrum ausgeweitet, mehrere Dutzend Personen waren involviert." [#]

Beziehung zum Iran:

- "Liechtenstein spendet 100'000 CHF als Soforthilfe für die Opfer der Erdbebenkatastrophe im Iran." [#]

Lesebefehl:

Andreas Bellasis Artikel in NZZ Folio 08/96